Supervulkan-Ausbruch: Als die Menschheit fast ausstarb - oder?
87 Kilometer lang und 27 Kilometer breit liegt der Tobasee im Norden der indonesischen Insel Sumatra. Mit 1103 Quadratkilometern bedeckt das Wasser mehr als die doppelte Fläche des Bodensees, dazu kommt mitten im See noch die 647 Quadratkilometer große Insel Samosir, die ein wenig größer als die Balearen-Insel Ibiza ist. Im Westen steigt das Ufer an vielen Stellen 700 Meter und mehr schroff in die Höhe. Die Landschaft erinnert nicht nur an einen überdimensionalen Vulkankrater aus uralten Zeiten, sondern entstand tatsächlich bei einem Supervulkan-Ausbruch.
Als der Toba vor rund 74 000 Jahren explodierte, förderte er wohl 2800 Kubikkilometer Bimsstein und Vulkanasche. Mit dieser Menge könnte man das 21 000 Quadratkilometer große Bundesland Hessen etwa 130 Meter hoch bedecken. Der Toba-Ausbruch war vermutlich die stärkste Eruption der letzten zwei Millionen Jahre, Vulkanologen haben bisher nur eine größere Eruption im heutigen US-Bundesstaat Colorado dingfest machen können, die bereits vor rund 27 Millionen Jahren 5000 Kubikkilometer Material in die Luft geschleudert hat.
Wie verheerend war die Eruption?
Im März 1991 regte sich auf der Philippineninsel Luzon ein anderer, seit 550 Jahren ruhender Vulkan, der Pinatubo. Zunächst waren es nur Erdbeben, bald folgten Wasserdampfexplosionen und Anfang Juni schließlich auch Magma. Schon im April waren die ersten Menschen evakuiert worden, bis Mitte Juni 1991 hatten 60 000 Einwohner die 30-Kilometer Zone um den Gipfel verlassen. In dieser Zeit wurden die Eruptionen immer heftiger. Am 15. Juni 1991 schleuderte dann der stärkste Ausbruch Asche bis in eine Höhe von 34 Kilometern. Pyroklastische Ströme aus glühend heißen Vulkangasen, Asche und Steinbrocken schossen mit einer Geschwindigkeit von bis zu 700 Kilometern in der Stunde talwärts und endeten erst in einer Entfernung von 16 Kilometern.
Diese Eruption war im 20. Jahrhundert bei Weitem die stärkste in einer dicht besiedelten Region. Obwohl die Evakuierungen wohl Zehntausenden das Leben gerettet hatten, starben 847 Menschen durch diesen Ausbruch. Vom Vulkan blieb ein Krater zurück, der mit einem Durchmesser von gerade einmal 2500 Metern im Vergleich mit dem Tobasee einem kleinen Tümpel gleicht. Auch das ausgeschleuderte Material war mit elf Kubikkilometern zwar immer noch gigantisch – der Ausbruch des Toba aber hatte die 250 -fache Menge in die Luft gespuckt.
Einen besseren Vergleich als der Ausbruch des Pinatubo im Jahr 1991 könnte vielleicht das Jahr 1815 liefern. Auch damals brach in Südostasien ein Vulkan aus, diesmal war es der Tambora auf der Insel Sumbawa im Südosten des Inselstaates. Die Eruption war vermutlich die stärkste in historischer Zeit, erst der Ausbruch des Supervulkans Taupo auf Neuseeland vor rund 26 500 Jahren war deutlich stärker als der des Tambora 1815. Dessen Explosionen wiederum hörte man sogar bis in 1800 Kilometer Entfernung auf Sumatra deutlich, noch 1300 Kilometer entfernt legte sich eine dicke Ascheschicht auf den Boden, der Himmel war selbst in 600 Kilometer Entfernung zwei Tage lang pechschwarz. Allein in Indonesien starben mindestens 71 000 Menschen bei dieser Eruption, an dem dabei ausgelösten Tsunami und weiteren Folgen.
Bis in eine Höhe von 43 Kilometern wurden Asche und Schwefelverbindungen geschossen und drifteten hoch oben in der Stratosphäre rund um den Globus. Wie ein Schleier schirmten sie das Sonnenlicht ab und kühlten so vorübergehend das Weltklima um etwa ein halbes Grad Celsius herunter. In Mitteleuropa und Nordamerika war der Sommer 1816 daher extrem kühl und vor allem verregnet, zum Teil schneite es sogar im Flachland im Hochsommer. Auf den Feldern verfaulte die Ernte, und es kam zu Hungeraufständen. Dabei hatte die Eruption des Tambora mit vielleicht 160 Kubikkilometer Material nicht einmal sechs Prozent der Menge ausgespuckt, die der Toba in die Luft katapultiert hatte.
Ist unsere Art beinahe ausgestorben?
Wie verheerend muss also der Ausbruch des Toba vor 74 000 Jahren die Menschen der Steinzeit getroffen haben? Als Stanley Ambrose von der University of Illinois im US-amerikanischen Urbana-Champaign 1998 in der Zeitschrift »Journal of Human Evolution« die Auswirkungen der Toba-Eruption auf die Menschen dieser Zeit abschätzte, stützte er sich auch auf ein Indiz, das Forscher im Erbgut von uns Menschen gefunden hatten. Demnach sei die Menschheit in der Zeit vor 100 000 bis vor 50 000 Jahren durch einen genetischen Flaschenhals gegangen: Irgendwann in dieser Phase sollte es nur noch sehr wenige Menschen auf der Erde gegeben haben, unsere Art könnte mit gerade noch 10 000 Erwachsenen am Rand des Aussterbens gestanden haben.
Da lag natürlich die Vermutung nahe, dass der verheerende Ausbruch des Toba seine Ascheregen und pyroklastischen Ströme im Spiel hatte. Im Nordwesten Indiens hätten ein bis drei Meter dicke Ascheschichten aus der Eruption alles Leben erstickt. In China und Europa könnten die Sommertemperaturen um zwölf Grad Celsius abgesackt sein, vermutet Stanley Ambrose. Das aber dürfte in Eurasien kaum jemand überlebt haben. Nur in ein paar wärmeren Nischen im tropischen Afrika hätten ein paar Vertreter unserer Art diese Katastrophe überstanden, glaubt der Forscher.
Allerdings steht diese Katastrophentheorie auf recht theoretischen Füßen, weil handfeste archäologische Daten fehlen. Zwar finden Forscher einen »rauchenden Colt« nur in Ausnamefällen und stützen sich daher häufig auf mehr oder minder gute Indizien. Aber auch die waren mehr als dürftig. Bis dann Michael Petraglia, der damals an der Universität im englischen Cambridge und an der Smithsonian Institution in Washington forschte und 2017 an das Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena wechselte, und seine Kollegen am 6. Juli 2007 in »Science« über ihre Ausgrabungen im Tal des Flusses Jurreru im Süden Indiens berichteten.
Keine Beweise für Katastrophentheorie
Dort fanden die Forscher nicht nur Ascheschichten, deren Zusammensetzung glasklar auf den Ausbruch des Toba vor 74 000 Jahren hinwies. Sie gruben auch einige hundert Steinklingen aus, die Steinzeitmenschen sorgfältig für verschiedene Zwecke bearbeitet hatten. Das Alter dieser Steinwerkzeuge zeigt klar, dass Menschen bereits vor 80 000 Jahren am Jurreru lebten und anschließend bis vor 35 000 Jahren dort zugange waren. Vor allem aber ähneln die Steinklingen direkt unter der Ascheschicht des Toba-Ausbruchs und damit unmittelbar vor der Eruption praktisch bis aufs Haar den Funden direkt darüber, die kurz nach dem Ausbruch dort abgelagert wurden. Ganz offensichtlich hatten die Auswirkungen der Eruption den Süden Indiens also erreicht, mittelfristig aber hat die Katastrophe keine sichtbaren Spuren bei dieser Steinzeitzivilisation hinterlassen. Der »rauchende Colt« taucht im Süden Indiens also nicht auf.
Auch im Norden des Subkontinents finden die Forscher am Son, einem Nebenfluss des Ganges, etliche Hinterlassenschaften von Steinzeitmenschen und auch die Ascheschicht, die vom Ausbruch des Toba vor 74 000 Jahren stammen. Und wieder scheint die Supervulkan-Katastrophe die Gegend zwar erreicht zu haben, Auswirkungen auf die Steinzeitzivilisationen aber finden die Forscher keine. »Direkt oberhalb und unterhalb der Vulkanasche finden wir sehr ähnliche Werkzeuge, Spuren eines Bruchs in der Zivilisation entdecken wir dagegen nicht«, erklärt Max-Planck-Forscher Michael Petraglia.
»Der Supervulkan-Ausbruch hat mit Sicherheit seine Spuren hinterlassen, ausgelöscht aber hat er offensichtlich weder die Menschen noch die Tierarten in dieser Region«Michael Petraglia
Genauso wenig finden die Forscher in Indien Spuren, die auf das Aussterben von Säugetieren in der Region hinweisen. Natürlich hat der Ascheregen dort die Lebensbedingungen für die Tiere drastisch verschlechtert. Offensichtlich aber hat es nicht lange gedauert, bis der Spuk vorbei war. Auch wurde es in der Region nach der Eruption trockener. Trotzdem blieb ein Mosaik unterschiedlicher Lebensräume erhalten, in die viele Tiere und höchstwahrscheinlich auch die Menschen ausweichen konnten. »Der Supervulkan-Ausbruch hat mit Sicherheit seine Spuren hinterlassen, ausgelöscht aber hat er offensichtlich weder die Menschen noch die Tierarten in dieser Region«, ist sich Michael Petraglia sicher.
Auch im deutlich weiter entfernten Afrika scheinen die Auswirkungen weniger dramatisch als befürchtet gewesen zu sein. So haben Chad Yost von der University of Arizona in der US-amerikanischen Stadt Tucson und seine Kollegen am Malawisee im Osten Afrikas die Zeit um den Ausbruch des Toba genau unter die Lupe genommen. Im »Journal of Human Evolution« berichten die Forscher im März 2018, dass die Eruption durchaus ihre Auswirkungen hatte: Kurzfristig seien anscheinend die Niederschläge erheblich zurückgegangen und etliche, für die afrikanischen Berge typische Pflanzen eingegangen. Hinweise auf einen vulkanischen Winter mit drastisch sinkenden Temperaturen aber finden Chad Yost und seine Kollegen keine.
Offenbar hat der Ausbruch des Toba vor 74 000 Jahren Jahren weit weniger Schwefelverbindungen in die Stratosphäre geschleudert, als bisher vermutet wurde. Statt eines vulkanischen Winters mit drastischen Klimaänderungen ähnelten die Auswirkungen der Supervulkan-Eruption wohl eher denen des Tambora-Ausbruchs im Jahr 1815. Dieser bescherte Europa und Nordamerika 1816 ein Jahr ohne Sommer mit Hungersnöten. Am Rand des Aussterbens aber stand die Menschheit weder 1816 noch vor 74 000 Jahren. Und auch die Vegetation am Malawisee hat sich nach dem Ausbruch des Toba nicht allzu sehr geändert, berichten Chad Yost und seine Kollegen. Vor allem sind die Wälder damals nicht verschwunden, wie man es bei einem vulkanischen Winter erwartet hätte.
Der Flaschenhals kommt später
Auch die Menschen im Süden Afrikas haben die Auswirkungen der Supervulkan-Eruption vermutlich zu spüren bekommen, eine dramatische Katastrophe aber blieb aus. So finden Curtis Marean von der Arizona State University in der US-Stadt Tempe und seine Kollegen an der Südküste des heutigen Südafrikas zwar durchaus Vulkanglassplitter, die vom Ausbruch des Toba bis nach Afrika geschleudert wurden. Starke Auswirkungen auf die Menschen, die damals dort lebten, beschreiben die Forscher in der Fachzeitschrift »Nature« dagegen nicht. Offensichtlich zeigte der vulkanische Winter dort keineswegs seine Krallen, sehr wahrscheinlich ist er sogar weitgehend ausgefallen.
Auch im Osten Afrikas, wo Michael Petraglia derzeit die archäologischen Hinterlassenschaften aus der Zeit der Toba-Eruption unter die Lupe nimmt, scheinen die Menschen die Katastrophe gut überstanden zu haben. »Das Gleiche gilt auch für die Neandertaler in Europa, bei denen sich ebenso wenig Spuren eines genetischen Flaschenhalses nachweisen lassen«, berichtet der Max-Planck-Forscher weiter. Wo ist also der genetische Flaschenhals geblieben, den Stanley Ambrose 1998 dem Ausbruch des Toba anlastete? »Damit könnte es etwas völlig anderes auf sich haben«, vermutet Michael Petraglia. Forscher stoßen auf Spuren eines Bevölkerungszuwachses in Afrika, der wohl vor 80 000 Jahren stattgefunden hat. Demnach sind unsere Vorfahren bei günstigen Bedingungen mit mehr Niederschlägen, die an den Rand der Arabischen Halbinsel eine Savannenlandschaft gezaubert haben könnten, von dort vermutlich nach Eurasien gewandert.
Dabei handelte es sich höchstwahrscheinlich um keine Völkerwanderung, sondern viel eher um kleine Gruppen von Jägern und Sammlern. In Europa und Asien mussten sich die Auswanderer in einer für sie völlig neuen Welt behaupten, in der obendrein wohl noch die Neandertaler und vielleicht auch die Denisovaner lebten, die durchaus Konkurrenten gewesen sein können. »In dieser kniffligen Situation können sich die Reihen der Auswanderer kräftig gelichtet haben«, vermutet Max-Planck-Forscher Michael Petraglia. Auch wenn sich unsere Vorfahren später durchsetzen sollten, könnte das leicht das Nadelöhr sein, durch das die Menschheit damals ging. Nicht die Eruption des Supervulkans, sondern das Auswandern aus Afrika hat demnach seine Spuren als genetischer Flaschenhals im Erbgut hinterlassen.
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